Energiewende mal anders – mit Timo Leukefeld
Liebe Leser:innen, auch im neuen Jahr 2021 möchten wir Ihnen spannende Expert:innen-Interviews zu den Themen Energiewende, erneuerbare Energien und Klimawandel präsentieren. Wir freuen uns deshalb sehr, dass Energieexperte, Solarunternehmer und „Energierebell“ Timo Leukefeld mit uns über regenerative Energien und die Energiewende in Deutschland spricht.
Alles Wichtige zu unserem Energieexperten
Foto: Bukhard Peter
Unser heutiger Experte Timo Leukefeld beschäftigt sich nicht nur beruflich als Solartechnik-Unternehmer mit erneuerbaren Energien. Sein Engagement für die Energiewende zeigt er auch als politischer Berater, Publizist und Dozent an der technischen Universität Bergakademie Freiberg. Er sieht das Thema deshalb täglich aus verschiedenen Blickwinkeln und kann so besonders interessante Einblicke vermitteln.
Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit genommen haben, um unsere Fragen rund um regenerative Energien und die Energiewende zu beantworten!
Können Sie ein paar Worte zu Ihrer Person und zu Ihren vielfältigen Tätigkeiten in diesem Bereich sagen?
Mein Name ist Timo Leukefeld, ich bin Jahrgang 1969 und habe einen Handwerksberuf gelernt, das hat mir nicht geschadet – im Gegenteil. Manche Zeitung bezeichnet mich wegen meiner nonkonformistischen Vorgehensweise bei der Entwicklung von Energiekonzepten gerne als Energierebell. An der Technischen Universität Bergakademie Freiberg und an der Berufsakademie Sachsen, Staatliche Studienakademie Glauchau, lehre ich als Honorarprofessor das Thema vernetzte energieautarke Gebäude.
Die Bundesregierung bezeichnet mich als Energiebotschafter und als Mittler zwischen Forschung, Entwicklung und dem ausführenden Handwerk. Als Protagonist von TV-Serien reise ich gerne um die Welt, stets mit der Frage im Gepäck: Wie werden wir in Zukunft leben? Ich beleuchte Versorgungsszenarien und räume mit dem Vorurteil knapper Ressourcen auf. Ich arbeite zudem als Redner und Denkwandler beim Zukunftsinstitut. Vernetzte Energieautarkie ist der Dreh-, Angel- und Ausgangspunkt meiner langjährigen Forschung.
In Freiberg, Sachsen, baute ich zwei energieautarke Häuser, in denen ich wohne und arbeite. Meine Häuser sind vollständig unabhängig und versorgen sich weitestgehend selbst mit Wärme, Strom und E-Mobilität aus der Sonne. Inzwischen planen und bauen wir mit dem Autarkieteam energieautarke Mehrfamilienhäuser, welche mit Pauschalmiete und Energieflat vermietet werden.
Sie beschäftigen sich bereits seit den 90er-Jahren auch auf einer wissenschaftlichen Basis mit regenerativen Energien und insbesondere mit der Solarenergie. Wie haben Sie hier die Entwicklung der letzten 25 bis 30 Jahre wahrgenommen?
In Deutschland teilt sich der Energieverbrauch ganz grob in 25 % Verkehr, 25 % Strom und 50 % Wärme auf. Im Bereich des Stromverbrauches hat sich die letzten 25 Jahre viel getan, der Umbau der Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien war sehr erfolgreich. Der Anteil von Sonne, Wind und Co macht nunmehr über die Hälfte aus.
Leider waren alle Maßnahmen ausschließlich stromfixiert. Im Bereich Wärme und Verkehr, die zusammen drei Viertel des deutschen Energieverbrauches ausmachen, ist fast nichts passiert. Das ist beschämend. Hier muss dringend umgesteuert werden. Ich bin in einer Försterei aufgewachsen und habe integrales Denken gelernt. Das beruht bekanntermaßen auf Zusammenhangswissen. Das ist in der Energiepolitik verloren gegangen.
Energieautarkie im Eigenheim
2011 entwickelten Sie das erste bezahlbare energieautarke Haus Europas und leben und arbeiten seit 7 Jahren selbst komplett energieautark. Wie schaffen Sie es, das ganze Jahr zu 100 % autark zu sein? Welche Rolle spielt Solarenergie dabei?
Foto: dpa
Eine intelligente Eigenversorgung mit Wärme, Strom und E-Mobilität aus der Sonne beginnt schon bei der Solararchitektur mit der Ausrichtung von steilen Dächern nach Süden, um die Wintersonne optimal zu nutzen. Die Solarthermie-Anlage und der 9 m³ Langzeitwärmespeicher sind die stützende Hauptsäule des Konzeptes. Um den Speicher nicht noch größer werden zu lassen, feuern wir ein wenig Holz nach. Hier im Büro, wo ich gerade an dem Interview schreibe, sind das etwa 2 rm Holz pro Jahr.
Ergänzt wird das System durch eine 8,4 kWp Photovoltaik-Anlage mit 58 kWh Blei-Gel-Akku. Waschmaschine, Trockner und Geschirrspüler sind ans warme Sonnen-Wasser angeschlossen und sparen somit bereits 80 % Strom. In sonnigen Wintermonaten schaffen wir 100 % Stromautarkie, allerdings nicht ganz, wenn 1 Meter Schnee auf dem Dach liegen. Unser Haus wird auch zur Tankstelle: Unser Elektroauto fährt etwa 8000 km pro Jahr. Meist nur in 1 bis 2 Monaten tankt es aus dem Netz, ansonsten über 10 Monate des Jahres nur Solarstrom direkt am Haus.
Müssen Sie Einschränkungen hinnehmen?
Nein. Im Gegenteil. Wenn man sich fast ausschließlich mit Sonnenenergie versorgt, dann möchte man die Wohnstube nicht nur auf DIN-Normtemperatur halten, sondern wir drehen die Heizung auf 23 Grad zum richtig wohlfühlen. Wenn wir Solarstrom mit Akku und eine LED-Beleuchtung nutzen, dann lassen wir im Winter das Licht öfter und an mehreren Stellen an, weil wir ja wissen, wie depressiv der Lichtmangel machen kann. So fühlen wir uns besser.
Weil wir in 10 bis 11 Monaten des Jahres das E-Auto nur mit Solarstrom betanken, können wir wieder mit gutem Gewissen mehr Autokilometer fahren, und das alles, ohne dabei das Portemonnaie oder die Umwelt zu belasten. Prof. Dr. Michael Braungart nennt das „intelligentes Verschwenden“ – das ist das Gegenteil vom „blöden Sparen“. Wer hat schon Lust, die Fenster geschlossen zu halten, weil Maschinen die Lüftung übernehmen oder in der Nacht die Raumtemperatur abzusenken und ständig ein schlechtes Gewissen zu haben bei jedem Autokilometer.
Wir wandeln die Sonnenenergie in Lebensqualität und wollen Häuser bauen, in denen die Menschen einfach so bleiben können, wie sie sind: leicht verschwenderisch. Damit sollen sie aber weder den Geldbeutel noch die Umwelt belasten. Das ist unsere Technosophie.
Nicht jede/r unserer Leser:innen kann direkt auf Energieautarkie umstellen. Was würden Sie ihnen für den ersten Schritt in die private Energiewende raten?
Jeder Mensch kann zu Hause den Geschirrspüler ans warme Wasser anschließen und sofort bis zu 80 % Strom sparen. Wenn der Geschirrspüler schon warmes Wasser bekommt, muss er nicht oder nur wenig mit Strom nachheizen. Aber bitte einen für Warmwasser geeigneten Zulaufschlauch verwenden. Gibt es im Internet.
Aktuelle Probleme und Energiewende-Themen für die Zukunft
Sie haben in den vergangenen Jahren viele Vorträge gehalten und Interviews geführt – gibt es in diesem Zusammenhang auch Themen, denen Sie gerne mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten?
Ja, ich hätte zum Beispiel gern selbst mehr Solaranlagen installiert und mit Hand angelegt. Außerdem hätte ich der Lebensdauer und der Reparierbarkeit der Technik sowie der Recycelbarkeit der Anlagen nach dem Cradle-to-cradle-Prinzip gerne viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt.
Wir sollen, politisch angeregt durch das GEG, beim Neubau von Gebäuden ganz viel Technik einbauen und dick dämmen, um die sogenannte zweite Miete, die Betriebskosten, zu senken. Da geht es um zentrale Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, Wärmepumpen, Brennwerttechnik, Solaranlagen, smart home, BUS-Systeme, Fußbodenheizungen etc. Wir haben damit mindestens zwei Probleme. In Zukunft gibt es immer weniger Handwerker (Handwerker will keiner mehr machen) und immer mehr Sollbruchstellen in der Technik, gemeint ist: die Technik hält nicht mehr so lange wie vor 20 Jahren.
Wir Praktiker reden bereits jetzt von der dritten Miete, das sind die Kosten für die Wartung und Reparatur der vielen Technik. Nach unseren Untersuchungen werden diese Kosten in Zukunft die eingesparten Energiekosten bei weitem übersteigen. Damit wird klar, worum es mir geht: Es geht um Enttechnisierung, also weniger und einfachere Technik, die lange hält. Wir forschen seit 5 Jahren daran und haben nun die ersten enttechnisierten energieautarken Häuser gebaut. Sie sind im Bereich Heizung und Warmwasserbereitung wartungsfrei und auch im Betrieb C02-frei. Wieder eine neue Disruption von unserem Autarkieteam. So werden Investoren langfristig gute Renditen erwirtschaften, weil sie nachhaltig gebaut haben.
Möchten Sie abschließend vielleicht noch eine Einschätzung über die nähere Zukunft der Energiewende in Deutschland formulieren? Welche Trends sollten unsere Leser:innen hier besonders im Auge behalten?
Zukunftsaussagen sind immer schwierig. Die Energiewende wird in naher Zukunft kaum weiter vorankommen, weil die politischen Randbedingungen auf Stagnation und Behinderung der Entwicklung gesetzt wurden und Deutschland in einer tiefen Krise steckt, wo andere Lösungen erst einmal wichtiger zu sein scheinen. Energiewende und Klimaschutz haben die nächsten 5 Jahre keine Priorität. Danach gibt es wieder Aufwind mit Innovationen, Geschäftsmodellen und Startups. Dazu passt ein Zitat des Zukunftsinstituts: „Wir Menschen brauchen Zukunft, weil wir Orientierung suchen. Eine Aussicht auf das, was wir erobern wollen. Wir brauchen optimistische Impulse und inspirierende Bilder, um die Energie für einen anstrengenden, ungewissen Weg aufzubringen. Denn Zukunft wird von uns allen erst noch geschrieben.“
Ich empfehle, diese Trends im Auge zu behalten: Dezentralisierung, Energieautarkie, Vernetzung, Wasserstoff, Wärmewende und die Herstellung eines analogen und digitalen Gleichgewichts sowie neue Geschäftsmodelle, welche die Energiewende ohne Fördermittel wirtschaftlich machen, so wie die Pauschalmiete mit Energieflat.
Unser DZ4 Fazit
Herr Leukefeld konnte uns nicht nur durch seine berufliche Expertise interessante Antworten bieten. Als Besitzer einer energieautarken Immobilie hat er über viele Jahre außerdem Erfahrungswerte mit regenerativen Energiesystemen und deren Vorteilen sowie Problemen sammeln können. Dabei zeigt die Praxis aber auch: Erste Schritte zu einer effizienteren Immobilie und zur eigenen Energiewende können ganz simpel sein.
Nicht jede/r muss sich direkt ein energieautarkes Haus mit optimal aufeinander abgestimmten Energiesystemen bauen. Vielmehr geht es darum, die eigenen Ressourcen sinnvoll zu nutzen und dort Energie einzusparen, wo es problemlos möglich ist. Zusätzliche Investitionen wie ein Langzeitwärmespeicher oder eine Photovoltaik-Anlage zur Miete sind dann der nächste Schritt bei der Optimierung der eigenen Ökobilanz und ein guter Beitrag zu einer grüneren Zukunft.
Lesen Sie auch die weiteren Interviews in dieser Reihe: Volker Quaschning, Felix Goldbach und Andreas Kühl